Zurück zur Natur – zurück aufs Land

Foto: Rüdiger Claus

Begünstigt die anhaltende Corona-Pandemie einen neuen Trend zum Landleben?

Wie verschiedene Medien in letzter Zeit berichteten, ist aufgrund der Corona-Pandemie eine verstärkte Nachfrage nach Immobilien im direkten Umland von größeren Städten, den sogenannten Speckgürteln, zu verzeichnen. Es stellt sich die Frage, ob die Abwanderung von Menschen aus den urbanen Zentren auch Chancen für den ländlichen Raum bietet.

Nach langen Zeiten der Abwanderung von Menschen aus den ländlichen Räumen, beobachten wir seit einiger Zeit einen beginnenden Gegentrend. Mit fortschreitender Modernisierung und Beschleunigung unserer Welt und der damit einhergehenden Entfremdung der Menschen von der Natur und einem traditionellen Zusammenleben wurden auch immer wieder und im Lauf der Zeit zunehmend Rufe nach Rückbesinnung auf Naturnähe und Entschleunigung laut. Diese Begriffe werden in der Regel mit dem ländlichen Raum verbunden. So hat die Attraktivität des Landlebens für viele Menschen wieder zugenommen. Führt diese gestiegene Beliebtheit aber auch langfristig zu mehr Zuzug aufs Land? Und kann dieser Trend durch die Corona-Pandemie eine Verstärkung erfahren?

Die Corona-Krise hat unser Leben praktisch von heute auf morgen auf den Kopf gestellt und uns ganz unmittelbar gezwungen, uns mit den grundlegenden Fragen unseres (Zusammen-) Lebens zu beschäftigen, teilweise bis hin zur Suche nach alternativen Lebensentwürfen. Seit Beginn der Corona-Pandemie war eine Flucht von Großstädtern, aufs Land zu beobachten. Eine Ursache dafür ist, dass die Gefahr einer Ansteckung auf dem Land tatsächlich geringer ist, schon aufgrund der geringeren Einwohnerdichte, andererseits ist es aber wohl auch die Sehnsucht nach Schutz und Geborgenheit, die auf dem Land, zumindest subjektiv, eher gegeben sind. Die Lebensroutinen auf dem Land wurden durch die coronabedingten Beschränkungen deutlich weniger unterbrochen, als in Großstädten. Das Leben auf dem Land steht damit für die Kontinuität und Beständigkeit, die wir uns in Krisenzeiten wünschen.

Naturgemäß beschränkte sich das Phänomen der Flucht aufs Land zu Beginn der Pandemie auf Menschen, die es sich leisten konnten und die zum Beispiel über Häuser auf dem Land verfügen. Mit zunehmender Dauer der Krise weitet sich aber dieser Trend aus. Neben ausreichender Bewegungsfreiheit und natürlich vorhandenem Abstand bietet der ländliche Raum auch Möglichkeiten zur zumindest teilweisen Selbstversorgung und damit auch einen weiteren Aspekt von Sicherheit, der bei manchen Menschen bei der Entscheidung für ein Leben auf dem Land mitschwingen mag. Die in der Regel deutlich niedrigeren Preise für Wohneigentum im dörflichen Umfeld ermöglichen einen günstigen Einstieg, und Objekte in entsprechender Größe machen die Verbindung von Wohnen und Arbeit unter einem Dach möglich.

Wandeln sich also die vermeintlichen Nachteile des ländlichen Raums in der gegenwärtigen Situation in Vorteile? Kann ein Umzug aufs Land ein Lösungsansatz für die aktuellen Probleme sein? Auf den ersten Blick könnte man meinen ja. Zunächst muss bei gegebener Attraktivität einer Region die Möglichkeit bestehen, dort auch den Lebensunterhalt verdienen zu können. Die Arbeit aus dem Home Office liegt im Trend und die Kommunikation über Videokonferenzen gehört mittlerweile zum Alltag. Beides ist dank fortschreitender Digitalisierung auch in dörflichen Gebieten heute immer mehr problemlos möglich. Es besteht also für eine wachsende Zahl von Menschen heute die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise im ländlichen Raum zu verdienen.

Die Digitalisierung ist allerdings nur eine technische Voraussetzung für die Verlagerung des Arbeits- und Lebensmittelpunktes aufs Land. Neben den Datennetzen müssen auch physische Möglichkeiten der Vernetzung und Zusammenarbeit bestehen. Ein interessanter Trend in diesem Zusammenhang ist die Entwicklung von Coworking-Spaces auf dem Land, also die Möglichkeit, bedarfsgerecht Büroinfrastrukturen zu mieten und in flexiblen Gemeinschaften zusammenzuarbeiten. Dieser Trend der ursprünglich aus der Startup-Szene in Großstädten kommt, bietet auch Potential für den ländlichen Raum.

Neben den Arbeitsinfrastrukturen im engeren Sinne müssen aber auch die sonstigen Infrastrukturen funktionieren und ausreichend zur Verfügung stehen. Hier stößt der ländliche Raum heute noch oft an seine Grenzen. Gut erreichbare Kitas und Schulen sind gerade für junge Menschen eine zentrale Voraussetzung für die Wahl ihres Wohnortes. Daneben ist ein flexibler und leistungsfähiger öffentlicher Verkehr eine weitere Grundlage für Lebensqualität und familienfreundliche ländliche Räume. Der Erhalt und die Wiederertüchtigung der Infrastrukturen auf dem Land sind eine zwingende Voraussetzung für die Hebung der vorhandenen Potentiale.

Aber nicht alle Infrastrukturen des ländlichen Raums, die in Jahrzehnten abgebaut wurden, lassen sich so einfach wieder reaktivieren oder neu schaffen. In Bereichen wie dem öffentlichen Verkehr oder der Gesundheitsversorgung sind ganz neue Konzepte gefragt, um den Anforderungen eines modernen ländlichen Raumes gerecht zu werden.

Beim Erhalt bzw. der Neueinrichtung von Dorfläden oder Gastronomiebetrieben können genossenschaftliches und ehrenamtliches Engagement zumindest einen Teil der Lücken schließen. Die Attraktivität ländlicher Räume ist auch abhängig von gegenseitiger Hilfe und Solidarität sowie von ehrenamtlicher Arbeit, wie sie zum Beispiel seit jeher in den freiwilligen Feuerwehren praktiziert wird. Derartiges Engagement muss die Politik unterstützen und die Rahmenbedingungen dafür weiter verbessern.

Auch wenn ein Umzug aufs Land nicht für alle möglich oder wünschenswert ist und sicher auch nicht alle aktuellen Probleme lösen kann, so ermöglicht die gegenwärtige Entwicklung doch neue Sichtweisen auf unseren ländlichen Raum und eröffnet interessante Zukunftsperspektiven.

Christoph Kaatz & Rüdiger Claus

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kreisverband Jerichower Land

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